Zur Person

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1. Biographie

03.09.1943 geboren in Halle/Saale als Ältester von neun Geschwistern
Kantorei an St. Laurentius Halle (Leitung: Wolfram Zöllner)
1958 Übersiedlung der Familie nach Schlüchtern/Hessen
1962 Kirchenmusikalische C-Prüfung an der Kirchenmusikschule Schlüchtern (Leitung: Dr. Walter Blankenburg)
1963 Abitur am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium in Schlüchtern
1963-67 Studium der Erziehungswissenschaften (Hauptfach Evangelische Theologie) an der Universität Frankfurt/Main, 1. Staatsexamen
1964 Kirchenmusikalische B-Prüfung an der Kirchenmusikschule Frankfurt/Main (Leitung: Philipp Reich)
1964-69 Kompositionsstudium bei Prof. Konrad Lechner in Frankfurt/Main und an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt (Meisterklasse)
1967-73 Kantor und Organist in Griesheim bei Darmstadt
1967-71 Stipendiat der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik
1969 Kirchenmusikalische A-Prüfung an der Kirchenmusikschule Schlüchtern (Leitung: Klaus Martin Ziegler)
1969-72 Kompositionsstudium bei Prof. Günther Becker in Heidelberg und Essen
1971 Heirat mit der Kirchenmusikerin Dorothea, geb. Osterroht
1972 Geburt der ersten von fünf Töchtern
1973-94 Kantor und Organist in Hamburg-Blankenese
(1988 Kirchenmusikdirektor)
1976-2008 Lehrauftrag für Musiktheorie, Analyse und Komposition
an der Musikhochschule in Lübeck (1992 Professor) und
zeitweise am Seminar für Praktische Theologie der Universität Hamburg
1981 Bachpreis Stuttgart
1982 halbjährliches Sabbatical mit der Familie als visiting scholar
an der University of California Riverside
1982-85 Blankeneser Strawinsky-Zyklus (63 Seminarveranstaltungen mit der Analyse des Gesamtwerkes, Konzerte)
seit 1984 Initiator der Nordelbischen Wochen für Theologie und Neue Musik
(Neue Musik in der Blankeneser Kirche; 11981, 21984, 31989, 41992)
1994-2006 Kirchenmusikdirektor an St. Martin in Kassel
1998-2004 Wiederaufnahme der von Klaus Martin Ziegler begründeten Wochen „neue musik in der kirche“ in der Gestalt eines themenorientierten
und interdisziplinären Dialogs von Neuer Musik und Theologie (11998, 22000, 32002, 42004) in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Corinna Dahlgrün
1994-2004 Komposition der missa hebraica. Uraufführung des Gesamtwerkes 2005
2006 Heinrich-Schütz-Medaille
der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck
Ruhestand, lebt vorwiegend in Südschweden

2. Kurzbiographie

1943 geboren in Halle/Saale. Studierte Kirchenmusik in Frankfurt/Main und Schlüchtern, Erziehungswissenschaften und Theologie an der Universität Frankfurt/Main, sowie Komposition bei Konrad Lechner und Günther Becker. 1967-73 Kantor und Organist in Griesheim bei Darmstadt. 1973-94 in Hamburg-Blankenese. 1976-2008 Lehrauftrag für Musiktheorie/Komposition an der Musikhochschule Lübeck, 1992 Professor. 1994-2006 Kirchenmusikdirektor an St. Martin Kassel

3. Lexikonartikel

Der Artikel erschien als Printwerk in Komponisten der Gegenwart (KDG)
Herausgegeben von Hanns-Werner Heister und Walter-Wolfgang Sparrer
edition text+kritik GmbH, München, 29. Nlfg 6/05
Text des Artikels von Herbert Glossner, 2003
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der edition text+kritik

Hans Darmstadt, geboren am 3. September 1943 in Halle/Saale. Prägende musikalische Eindrücke empfing er, Ältester von neun Kindern, durch seine Mutter und die Kantorei St. Laurentius (Wolfram Zöllner). 1958 verließ die Familie die DDR und zog nach Schlüchtern in Hessen. Nach dem Abitur (1963) studierte er Erziehungswissenschaft und evangelische Theologie (Staatsexamen 1967) an der Universität Frankfurt/Main sowie Kirchenmusik an den Kirchenmusikschulen Frankfurt (B-Prüfung 1964) und Schlüchtern (A-Prüfung 1969).

1964 begegnete er in Frankfurt Konrad Lechner. Bei ihm erlebte er eine Zeit intensiver kompositorischer Studien und einer aus den überkommenen Konventionen befreienden Entdeckung der neuen wie der alten Musik. Auch nach Antritt seiner ersten Stelle als Kantor und Organist in Griesheim (1967) konnte er seine Studien als Meisterschüler Lechners an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt und privat fortsetzen. Bis 1972 war er regelmäßig Stipendiat der Darmstädter Ferienkurse. Dort lernte er Günther Becker kennen, bei dem er seine Kompositionsstudien 1969-72 privat weiterführte.

Als Komponist trat er erstmals 1970 bei den Darmstädter Ferienkursen auf mit den Variationen für Violine solo (1970) sowie Media vita für Stimmen und (elektrisch modulierbare) Instrumente (1970/73). Wichtige Erfahrungen vermittelte die aktive Teilnahme an den Internationalen Gaudeamus Musikwochen in Holland sowie an den Wochen „neue musik in der kirche“ in Kassel.

Nach seiner Heirat und der Geburt der ersten von fünf Töchtern wurde Darmstadt 1973 Kirchenmusiker in Hamburg-Blankenese. In über 20 Jahren engagierte er sich dort für „Neue Musik in der Kirche“, um Brücken zwischen avantgardistischer und kirchenmusikalischer Praxis zu bauen. Für die Psalmkantate „... darum hoffe ich noch“ (1981) erhielt er 1981 den Bach-Preis Stuttgart. 1982 verbrachte er ein halbes Sabbathjahr 1982 als „visiting scholar“ an der University of California Riverside; damals entstand eine Reihe von Vokalwerken.

Für die Interpretation alter Musik (besonders J. S. Bachs) verdankt er wesentliche Anregungen seinem Bruder Gerhart, Violoncellist und Spezialist für historische Aufführungspraxis. 1988 wurde Hans Darmstadt zum Kirchenmusikdirektor ernannt. 1992 konnte die von ihm initiierte neue Beckerath-Orgel in Hamburg-Blankenese eingeweiht werden, handwerklich wie technologisch (Midi-Schnittstelle) auf höchstem Niveau.

1994 wurde Darmstadt als Nachfolger von Klaus Martin Ziegler Kirchenmusikdirektor an St. Martin in Kassel. Dort nahm er, zusammen mit der Theologin Prof. Dr. Corinna Dahlgrün, die Wochen „neue musik in der kirche“ wieder auf, nun mit dem Anspruch eines interdisziplinären Dialogs zwischen Neuer Musik und Theologie. Dies führte zu intensiver Zusammenarbeit mit Komponisten und Interpreten, Vergabe von Kompositionsaufträgen und zahlreichen Uraufführungen, vor allem mit dem Vocalensemble Kassel.

Seit 1976 hat Darmstadt einen Lehrauftrag für Musiktheorie/Komposition und Analyse an der Musikhochschule Lübeck, 1992 wurde er dort zum Professor ernannt.

Das Werk Hans Darmstadts ist weitgehend bestimmt von einer produktiv-experimentellen Auseinandersetzung mit den Traditionen geistlicher Musik: Er greift zurück auf Musik des 13. bis 17. Jahrhunderts, auf Formen des Choralvorspiels und der Motette, befragt das Hergebrachte und durchdringt es mit neuen Möglichkeiten instrumentaler und vokaler Technik, um es in den Kontext der Gegenwart zu stellen. Abzulesen ist das schon an seinem „opus 1“, der Improvisation für Orgel (1966), an den Blankeneser Chor- und Orgelheften (1973/76), an der Psalmmotette By the Rivers of Babylon für Chor, Sprecher, Pauken und kleine Trommel (1982), an den Drei Schlagzeugchorälen (1979), der Sonate aus h‘ für Orgel (1984) oder an „... lapides clamabunt“ (Lukas 19,37-40) für Stimme und Steine (2001), für die Klangsteine der Martinskirche in Kassel), an der Motette Terribilis est locus iste für Chor, Baritonsolo, zwei Posaunen und Schlagzeug (Introitus, 1997) oder an der Missa hebraica für Soli (Sopran, Bariton) und Vokalensemble a cappella (1994ff.).

Die subtilen, innovativen Klangmischungen der Orgel nutzt Darmstadt im gottesdienstlichen Spiel zu überraschenden, textbezogenen Improvisationen, die der Gemeinde die Schönheiten neuer Musik erschließen können. Die Vokalwerke zeigen eine Satzkunst, die komplexe Klangschichten von kompromisslos freier Atonalität mit expressiver Wortbehandlung zu verbinden weiß. In den Partituren sind vielfältige dynamische Feinheiten und stimmliche Artikulationsvarianten von Atmen, tonlosem Flüstern, Sprechen, Schreien bis Vokalisen und häufigen Glissandi aufs genaueste festgehalten. Aleatorische Elemente (z. B. Kyrie, 1998/99) und Stimmenaufspaltungen bis zu vertikaler Zwölftönigkeit (z. B. By the Rivers, 1982; Credo, 1994/2001) gehören dazu.

Darmstadts Zugang zur Sprache ist analytisch und emotional zugleich. Wie alte Meister Gregorianik oder Luthertexte verarbeiteten, lässt er in manchen Vokalwerken durchscheinen: Dufay (Terribilis est, 1997), Orlando di Lasso (In me transierunt, 1985), Schütz (126. Psalm, 1988). In dem Zyklus „... es sind / noch Lieder zu singen / jenseits der / Menschen“ (1982) stellt er sich der Herausforderung, gegenüber der Lyrik von Paul Celan eine Balance aus Konstruktion und Emotion zu schaffen. Die Apokalyptische Szene „...mit unaussprechlichem Seufzen“ (1987/90) verbindet biblische mit literarischen Texten. Neuland betritt Darmstadt mit der Missa hebraica: Ihr liegen, nach der theologischen Konzeption und Textauswahl von Corinna Dahlgrün, originale Passagen aus der hebräischen Bibel zugrunde, die zu deutschsprachiger Lyrik und Prosa des 20. Jahrhunderts in einen Dialog treten. Das lateinische Messordinarium wird nicht zitiert, doch „gleichsam als Folie vorausgesetzt“ (Darmstadt 1998). In seiner ca. siebzigminütigen Missa, dem Versuch einer Standortbestimmung vokaler Komposition im Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert, fasst Darmstadt seine bisherigen Erfahrungen zusammen: Kyrie (1998/99), Gloria (1999), Credo (1994/2001), Sanctus (2001, mit Orgel), Agnus Dei (2003), Dona nobis pacem (2004/05).